Früher oder später wird wohl jeder mit Ereignissen konfrontiert, die Kummer, Sorgen und Ängste auslösen. Auch ein christusgläubiger Mensch ist davon nicht ausgenommen. Wie soll er mit solchen schmerzhaften Erfahrungen umgehen? Für unsere »geistlichen Vorfahren« jedenfalls sind es Glaubenslieder gewesen, die ihnen ganz wesentlich bei der Bewältigung ihrer Anfechtungen und Nöte halfen. Das gilt auch für Martin Luther (1483–1546), der überhaupt von der Musik sehr hoch dachte – als Therapeutikum gegen Schwermut, Verzagtheit sowie innere und äußere Bedrängnisse. So meinte er: »Erfahrung beweist, dass nach dem Wort Gottes nur die Musik verdient, als Herrin und Regentin der Empfindungen des menschlichen Herzens gepriesen zu werden. Wir wissen, dass sie dem Teufel verhasst und unerträglich ist. Mein Herz wallt auf und fließt über beim Hören der Musik, die mich so oft erfrischt und von schweren Ängsten befreit hat.« Er selbst dichtete so »glaubenstrotzige« Lieder wie »Ein feste Burg ist unser Gott« oder »Aus tiefer Not schrei ich zu dir«.
Hundert Jahre später verfasste Paul Gerhardt (1607–1676) seine einzigartigen Trost- und Mutmachlieder. Sie sind bis zum heutigen Tag ungezählten Menschen zu verlässlichen Wegbegleitern ihres Lebens geworden, zu einer Kraft- und Hoffnungsquelle. In Verbindung mit ihren warmen, inhaltsbezogenen Melodien vermögen sie dem Gläubigen in den Wirren und Unsicherheiten des Lebens Halt und Geborgenheit zu vermitteln. Man denke nur an den Choralklassiker »Befiehl du deine Wege«! Gerhardts Lieder besingen einen Gott, der mit seinen Kindern durchs Leben geht und bei ihnen ist – in guten wie in schlechten, dunklen Zeiten.
Der schwäbische Pfarrer und Liederdichter Philipp Friedrich Hiller (1699–1769), dem es schwer zu schaffen machte, dass er auf dem Höhepunkt seines Pfarrdienstes seine Stimme verlor und nicht mehr predigen konnte, bekennt in seinem Lied »Es jammre, wer nicht glaubt«:
»So wein ich, wenn ich wein, / doch noch mit Loben; / das Loben schickt sich fein / zu solchen Proben. / Man kann den Kummer / sich vom Herzen singen. / Es sorge, wer nicht traut! Mir soll genügen; / wovor mir jetzt noch graut, / das wird Gott fügen. / Er weiß, was nötig sei, / so mag Er sorgen; / Mir ist des Vaters Treu / auch nicht verborgen.«
Eines der populärsten geistlichen Lieder der Gegenwart ist das Lied »Von guten Mächten wunderbar geborgen« von Dietrich Bonhoeffer. Bonhoeffer schrieb die 1972 von Siegfried Fietz so einfühlsam vertonten Gedichtstrophen im Berliner Gestapo-Gefängnis, wo er als Widerständler gegen das NS-Regime eingesperrt war und mit dem Schlimmsten rechnen musste, und legte sie seinem Brief vom 19. Dezember 1944 an seine Verlobte als »Weihnachtsgruß« bei. Knapp vier Monate später wurde er hingerichtet. Bewährte, inhaltsstarke christliche Lieder mit ihren eingängigen Melodien – ob gesungen, gesummt oder auch nur von einer CD abgehört – sind in besonderer Weise dazu angetan, das menschliche Gemüt anzusprechen und zu beruhigen. Lenken sie doch den Blick von der Fixierung auf die momentane Angst- und Notsituation ab und richten ihn auf Gott, auf seine Gegenwart, Liebe und Treue – und seine ungeahnten Möglichkeiten durchzuhelfen und durchzutragen.

Lesetipp:
Matthias Hilbert
Von Paul Gerhardt bis Manfred Siebald
20 Lebensbilder alter und neuer Liederdichter, Bd. 1
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Matthias Hilbert, Jahrgang 1950, ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Er ist Autor, Lehrer i.R. und wohnt in Gladbeck. Er porträtiert Glaubensväter und -mütter und interessiert sich für die Glaubens- und Lebensgeschichten bekannter Persönlichkeiten, die wie er aus einem frommen Elternhaus stammen.
Der Artikel ist zuerst erschienen in GEISTESGEGENWÄRTIG 2/2024 und wird hier mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags veröffentlicht.